EINE FANTASTISCHE FRAU Film Interview Sebastián Lelio

Interview Sebastián Lelio

Wie würden Sie Ihre Herangehensweise an „Eine fantastische Frau“ beschreiben?

In gewisser Weise sollte mein neuer Film seiner Hauptperson gleichen. Wie Marina sollte er keine Scheu vor dem Vergnügen kennen und wie sie eine mitreißende und leuchtende Oberfläche besitzen. Im besten Fall ein erzählerischer und visueller Genuss, aufgeladen mit grundsätzlichen menschlichen Fragen.

Warum war es Ihnen wichtig, dass Marina, die Hauptfigur Ihres Films, transsexuell ist?

Weil alles, was der Hauptfigur passiert, dadurch verstärkt wird. Ihre Einsamkeit genauso wie ihre emotionale Kraft. Die Tatsache, dass Marina transsexuell ist, verändert die Geschichte, macht sie bewegender, intensiver.
Natürlich habe ich mich bereits zu einem frühen Zeitpunkt, noch weit vor der Drehbuchphase, mit Transsexuellen getroffen. Schließlich erzählte mir jemand von Daniela Vega, einer jungen Schauspielerin und Sängerin. Zunächst habe ich sie ausschließlich als Beraterin in Erwägung gezogen. Als ich sie dann zum ersten Mal sah, war ich hin- und weg von ihrer Präsenz und ihrer Anmut. Wir haben stundenlang geredet, ich war wirklich überwältigt. Letztendlich war ich mir erst nach dieser Begegnung sicher, dass ich diesen Film wirklich machen wollte, und zwar mit einem realen Charakter: Ich wusste auch, dass ich den Film nur mit einer transsexuellen Schauspielerin drehen würde oder eben gar nicht. Wahrscheinlich hatte ich Daniela damals bereits im Hinterkopf, aber es war zu früh, um mir das selbst einzugestehen. Also haben wir uns erst einmal weiter per Skype ausgetauscht, monatelang. Ich lebte damals in Berlin, sie in Santiago. Währenddessen schrieb ich am Drehbuch, und wir redeten und redeten, ich habe ihr viele Fragen gestellt.
Daniela Vega hat viel über Diskriminierungen gesprochen, über die Spannungen und Aggressionen in unterschiedlichen Situationen. Sie hat auch darüber gesprochen, wie sich Gewalt zeigt: ganz direkt oder auch subtil und wie sich Menschen dazu verhalten. Das alles ist, neben tausend anderen Dingen, ins Drehbuch eingeflossen.

Wann haben Sie endgültig beschlossen, Daniela Vega als Marina zu besetzen?

Unmerklich wurde aus Daniela Marina und aus Marina Daniela. Als ich die erste Fassung des Drehbuchs fertig hatte, wusste ich, dass ich Daniela in der Rolle der Marina wollte. Ich habe ihr dann das Drehbuch geschickt und sie gefragt, ob sie Marina spielen und den Film tragen wolle - sie war vollkommen überrascht. Sie las das Script, ging tanzen und danach sagte sie zu.

Daniela Vega war keine sehr erfahrene Schauspielerin, haben Sie das als Risiko gesehen?

Sie hatte ein paar Rollen am Theater gespielt und auch einen kleineren Film gedreht, und sie ist eine lyrische Sängerin - kurzum: Sie ist eine Künstlerin. Zugleich sehr jung und unerfahren. Das war natürlich eine Herausforderung, für sie und für mich. Denn sie trägt den Film auf ihren Schultern. Dabei geht es um alles oder nichts!

Sie ist ja in fast jeder Einstellung zu sehen.

Nur nicht am Anfang, da sieht man erst ihren Geliebten, dann wechselt die Perspektive. Daniela musste Tanzen und Autofahren lernen, sie hatte ein gewaltiges physisches Trainingsprogramm. Sie musste Unterricht für Popgesang nehmen, denn Pop war nicht ihr Metier. Sie ist die Protagonistin, sie tanzt, singt, stemmt sich gegen den Wind, bewältigt einfach alles. Das emotionale Spektrum der Rolle ist enorm – eine große Aufgabe für eine Schauspielerin.

Unter welchen Bedingungen leben Transsexuelle in Chile? Im Film wird Marina von einer Kommissarin wie eine Kriminelle behandelt. Ein Polizist spricht sie mit männlichem Namen an.

Das ist brutal, und es entspricht der Realität. Daniela Vega reist mit einem Pass, in dem ihr männlicher Geburtsname steht. Sie konnte ihren Namen bisher gesetzlich nicht ändern, auch jetzt nicht, wo sie viel in der Welt unterwegs ist und das Land mit diesem Film vertritt.

Sie engagiert sich in vielen Talkshows für die Rechte von Transsexuellen.

Ja, aber ohne einer Organisation anzugehören. Die Zeit war irgendwie reif für diesen Film, er landete in Chile genau in dem Moment, in dem die Gesellschaft sich für etwas Neues zu öffnen schien. „Eine fantastische Frau“ wurde sehr gut aufgenommen, hatte viel öffentliche Aufmerksamkeit, das hat mich selbst überrascht. Ich hatte viel mehr Ablehnung und Kontroversen erwartet.

Dabei ist „Eine fantastische Frau“ keineswegs ein Debattenfilm.

Diese Ebene wollte ich überwinden. Manchmal sind Thesen-Filme notwendig, aber ich selbst möchte sie nicht machen. Die Hauptfigur meines Films ist transsexuell, und das zwingt den Film dazu, selbst in jeder Hinsicht „trans“ zu sein. Man könnte sagen – es ist ein Film mit multipler Identität. Er ist nicht auf irgendetwas reduzierbar, man kann ihm kein Label aufdrücken, ich glaube, er ist ein Film gegen Labels, der Film urteilt nicht über Marina, die Hauptfigur, er hebt sie hervor, er erforscht sie, manchmal feiert er sie.

Lassen Sie uns über die visuelle Sprache Ihres Films reden. Auffällig sind die häufigen Close-Ups, und anders als etwa in „Gloria“ benutzen Sie ganz offensichtlich keine Handkamera.

Richtig, in diesem Film überhaupt nicht. Dieser Film ist anders. Ich betrachte ihn als „trojanisches Pferd“, falls man das als positiven Begriff nutzen kann: Er sieht aus wie ein Film, ist unter ästhetischen Gesichtspunkten attraktiv, vielleicht sogar prachtvoll, mit einer schönen visuellen Handschrift – und in seinem Zentrum steht eine transsexuelle Frau. Die klassische filmische Anmutung kollidiert mit einer leider immer noch nicht klassischen Film-Figur. Das meine ich mit „trojanischem Pferd“. Einer Stadt wird ein Geschenk gemacht, es sieht schön aus, aber in seinem Inneren befindet sich etwas anderes. Damit müssen die Beschenkten nun klarkommen, sie haben das Geschenk akzeptiert. Aber anders als in der Sage handelt es sich hier nicht um einen Verrat. Das Innere des trojanischen Pferds ist in diesem Fall eine Einladung, tiefer zu gehen. Marina ist eigentlich eine kubistische Figur. Sie oszilliert die ganze Zeit über, sie sieht in jeder Einstellung anders aus. Was die Close-Ups betrifft: In dieser Hinsicht stimme ich Ingmar Bergman zu, der sagte, es gibt keine komplexere Landschaft als das menschliche Gesicht. Das ist der Kosmos.

Was sehen Sie in Marinas Gesicht?

Abgesehen von seiner Schönheit sehe ich auch die große, hochwirksame kinematographische Präsenz. Kino ist dann am besten, wenn das, was man sieht, nicht genau das ist, was man sieht - so paradox es klingt. Man sieht etwas und zugleich etwas anderes, etwas, das man hineinprojiziert. Und Marina hat die perfekte Präsenz dafür, weil sie sich ständig verändert. Die Wahrnehmung, die wir von ihr haben, bleibt in Veränderung, sie ist sehr feminin, sie ist sehr maskulin, sie ist sehr schön, sie kann sehr herb sein, man möchte sie küssen, man würde sie nie küssen, man denkt, sie ist verrückt, dann wieder hält man sie für vollständig vernünftig. Man kann überall hingelangen mit ihr. Das ist fantastisch! Ich spreche immer von der Figur, nicht von Daniela Vega. Und ich glaube, diese oszillierende Präsenz ist pures Kino.

Sie haben eine deutsche Co-Produzentin, Maren Ade, wie kam es dazu?

Darauf bin ich sehr stolz, und ich kannte sie vor ihrem Film „Toni Erdmann“! Maren Ade und Janine Jackowski, ihre Partnerin in der gemeinsamen Firma Komplizen Film, hatten „Gloria“ gesehen. Sie mochten ihn und luden mich zum Lunch ein. Ich war zu dieser Zeit viel in Berlin und die beiden signalisierten mir ihr Interesse an meinem nächsten Film. Sie liebten das Script, und sie waren die besten Partner, die ich mir hätte wünschen können. Dann kam „Toni Erdmann”! Ich verehre diesen Film, und habe mich sehr gefreut für Maren Ade und Komplizen Film. Toll, dass sie nun Teil meines Films sind. Die gesamte Post-Produktion wurde übrigens auch in Berlin gemacht.

Sie haben einmal gesagt, Sie lieben Frauen, solange sie singen oder Autofahren…

Ja, das war ein Spaß. Aber wahr ist: Ich liebe sie. Und ja, Frauen singen oft in meinen Filmen. Die Musik ist mir sehr wichtig. Marina singt zu Beginn einen kubanischen Salsa, „Periódico de ayer“ von Héctor Lavoe. Die Arie „Ombra mai fu“ am Ende des Films stammt aus Händels Oper „Xerxes“. Es ist eine Arie voller Dankbarkeit für einen Baum, seinen Schatten,- seine Freundlichkeit, es ist eine sehr schöne Arie. Ist die Liebe zu Bäumen nicht etwas sehr Deutsches?

Interview: Christina Bylow

»Meisterhaft gespielt von Daniela Vega ... Ein herzzerreißendes Drama voller unvergesslicher Szenen ... Der neue Almodovar kommt aus Chile.«
Le Parisien
»Was EINE FANTASTISCHE FRAU so großartig macht, ist die Art und Weise, wie Sebastián Lelio die Klippen und einfachen Klischees umschifft, die die Geschichte nahelegt, um sich stattdessen mit der komplexen Psychologie seiner Heldin zu befassen und uns die unerschütterliche Kraft ihrer Liebe fühlen zu lassen.«
Paris Match
»Ein Film mit einem Hauch Magie… So wünscht man sich das: Berlinale wie im Kino, ein Ticket in andere, aufregende Welten, andere Leben – an der Hand einer großartigen Schauspielerin. Ein toller Film!«
ZDF Aspekte
»Ein berührender, exzellent gespielter Film – absolut sehenswert!«
RBB
»Die Zeitlosigkeit dieses Films und die Tiefe seiner Empathie kennzeichnen ihn als ein Meisterwerk.«
The Guardian
»Ein ergreifender, wunderschöner Film über die Liebe, die Freiheit und die Differenz, überraschend, intelligent, grausam und zärtlich.«
les inrocks
»Lustig, empörend, komisch und surreal – eine mitreißende Achterbahnfahrt der Gefühle und ein visueller Meisterstreich. Die fulminante Entdeckung des Films ist Daniela Vega.«
the hollywood reporter
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EINE FANTASTISCHE FRAU. Der neue Film von Sebastián Lelio (GLORIA).
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